Der Mann mit dem Fernglas in der Hand muss es sein. Das Hemd mit dem Nationalparklogo verleiht der Vermutung Nachdruck. Konkret ist es Ranger Emanuel Egger vom Nationalpark Hohe Tauern. Mit seinem Fernglas sucht er bereits vor Start der Wildtierbeobachtung die Hänge ab. Wir sind einstweilen ganz beeindruckt vom traumhaften Blick auf den Großglockner.
Los geht’s vom Gradonna zum Lucknerhaus am Ende der Kalser Tauernstraße auf 1920 Metern Seehöhe. Vor uns haben wir eine gemütliche Wanderung zur Lucknerhütte. Zu bewältigen sind rund 4 km und 300 Höhenmeter, was auch für Kinder leicht zu schaffen ist. Vier sind heute mit dabei. Ausgestattet mit Ferngläsern und Spektiv machen wir uns auf die Pirsch. Lange dauert es nicht, schon lässt sich das erste Murmeltier blicken.
Wildtierbeobachtung – Wenn das Murmeltier pfeift
Ein scharfer Pfiff und Emanuel richtet seinen Blick Richtung Himmel. „Ein einzelner Pfiff bedeutet in der Murmeltiersprache normalerweise, dass ein Greifvogel in der Nähe ist. Das heißt höchste Gefahrenstufe“, erklärt der Ranger vom Nationalpark Hohe Tauern. Dieses Mal war es offensichtlich Fehlalarm. Aber als Murmeltier kann man eben nicht vorsichtig genug sein, sonst ist man schnell einmal Beute.
Beutetiere, so erfahren wir, haben die Augen seitlich am Kopf. Das gewährt beinahe einen Rundumblick. Bei Jägern wie Adler oder Fuchs geht der Fokus nach vorne.
Intelligente Rabenvögel – Ein paar Tannenhäher fliegen vorbei und werden von einem der jungen Tierbeobachter sogleich erkannt. Sie gehören zu den Rabenvögeln und sind daher besonders intelligent. Das zeigt sich beispielsweise im Imitieren von Geräuschen, das sie gut drauf haben. „Nicht nur Natürliche wie einen Bussard, auch Motorsägen machen sich problemlos nach“, erzählt Emanuel Egger bei der Wildtierbeobachtung. Wichtig sind die Häher auch zur Verbreitung der Zirbe. Hunderte Samen verstecke sie im Herbst. Nicht alle werden wieder gefunden und so wachsen schließlich junge Zirben heran. Dohlen, Krähen, Elstern, Eichelhäher und natürlich Kolkraben gehören ebenfalls zu den rabenartigen, die sich im Nationalpark Hohe Tauern tummeln.
Unterschied zwischen Geweih- und Hornträgern – Immer wieder legen wir einen Stopp ein, suchen die Hänge ab, beobachten die Natur. Der Ranger beantwortet geduldig alle Fragen. Im Schatten lassen sich ein paar Gämsen sehen. Die weiblichen Tiere samt Jungen und Halbstarken bilden ein Rudel. Die großen Böcke sind einzeln unterwegs und gesellen sich nur in der Brunftzeit dazu.
Gämsen sind Hornträger und Hörner werden im Unterschied zu einem Geweih nicht abgeworfen. Daher tragen Weibchen und Männchen Hörner, die wie unsere Fingernägel aus Chitin bestehen. Anschauungsmaterial hat Emanuel vom Nationalpark Hohe Tauern bei der Wildtierbeobachtung mit dabei.
Ein Geweih wiederum ist wie ein Knochen aufgebaut. „Das Geweih auszubilden, braucht mindestens so viel Energie, wie ein Junges großzuziehen. Daher tragen auch nur die männlichen Tiere ein Geweih“, weiß Emanuel vom Nationalpark Hohe Tauern. Zu welch schöner Verschwendung die Natur doch fähig ist…
Dachse beißen wie ein Dobermann – „Wenn sich keine echten Tiere bei der Wildtierbeobachtung zeigen, muss die ‚Schädelbox‘ her“, lacht der Ranger. Diese Bezeichnung hat nämlich schon öfter für Verwunderung gesorgt. Es ist tatsächlich eine Schachtel mit Tierschädeln, die er aus dem Rucksack zaubert. Ein Murmeltier mit langen, scharfen Nagezähnen, die fast so lang wie ein Finger sind und ein Leben lang nachwachsen. Ein Fuchs mit seinem Raubtiergebiss und wer hätte das gedacht, die größte Dichte an Füchsen gibt es in London und Berlin.
Auch einen Dachsschädel gibt es. „Dachse entwickeln die gleiche Beißkraft wie ein Dobermann. 130 Kilogramm bringen sie mit ihrer starken Kiefermuskulatur zusammen. Das liegt an ihrer Lieblingsspeise – Regenwürmer. Auf der Suche nach ihnen graben sie durch den Waldboden und beißen dabei Wurzeln, so dick wie ein Kinderärmchen durch“, erzählt er. Erwachsene kommen bei einem Händedruck auf ca. 20 kg, was sogleich ausprobiert wird.
Glocknerblick von der Lucknerhütte – Auf der Lucknerhütte legen wir eine kleine Pause ein. Durch das Fernrohr können wir sogar die Bergsteiger am Gipfel des Großglockners beobachten. Am Rückweg von der Wildtierbeobachtung finden die Kinder mit ihren Adleraugen noch einige Murmeltiere, die sich genussvoll die Sonne auf den Rücken scheinen lassen. Ein paar Gämsen lassen sich auch noch blicken.
Wo denn die Kollegen sind, die die Pappsteinböcke in die Höhe halten, witzeln wir. Die haben heute frei, schmunzelt Emanuel vom Nationalpark Hohe Tauern zurück. Den Steinböcken ist schlichtweg zu heiß, schließlich fehlt ihnen die Möglichkeit zu schwitzen.
„Der Nationalpark ist kein Zoo“, sagt Emanuel. Das ist gut so. Wir haben trotzdem viel gelernt. Einen Gang herunter zu schalten, weil es bei der Wildtierbeobachtung nicht um Schnelligkeit oder Höhenmeter geht. Genau hinzuschauen und auf die Sprache der Natur zu hören.
Gewonnen haben wir auch an Erfahrung. Zum Beispiel jene, dass man bei der größten Hitze im Juli und August am wenigsten Wildtiere zu Gesicht bekommt. Und dass wir das gerne in der Praxis auf den Wahrheitsgehalt überprüfen möchten. Im Frühling, im Herbst oder im Winter. Dann nämlich, weiß Emanuel, kommen die Steinböcke praktisch bis auf den Talboden auf gut 1900 Meter herunter. Und können bei einer Schneeschuhwanderung vom Gradonna beobachtet werden.
Text & Fotos: Julia Hitthaler